Habe ich genug Talent um Schlagzeug zu lernen?
Habe ich genug Talent um Schlagzeug zu lernen?
Zunächst möchte ich generell auf den Einfluss von Talent eingehen bzw. diesen Begriff in Frage stellen. Letztendlich sollte jedoch die Antwort auf die Frage: „Habe ich genug Talent um Schlagzeuger zu werden?“ niemanden davon abhalten dieses Instrument zu lernen.
Es hängt auch stark vom Ziel ab, welches man Erreichen möchte. Um ein Weltklasse-Schlagzeuger zu werden, ist harte Arbeit bereits in sehr jungen Jahren notwendig, während man als Hobbymusiker wesentlich weniger Zeit investieren muss und das Alter keine wichtige Rolle spielt.
Jeder kann Schlagzeug lernen und sich dabei durch gezieltes Üben stetig verbessern!
Tony Royster jr.
Beginnen möchte ich zunächst mit einem sogenannten Wunderkind am Schlagzeug:
Tony Royster Jr.:
– geboren am 9.9.1984
– Sohn von Gitarrist und Schlagzeuger Anthony Royster
– begann mit 3 Jahren Schlagzeug zu spielen
– nachdem er bereits mehrere Wettbewerbe als Schlagzeuger gewonnen hatte, wurde er im Alter von 12 Jahren im Jahr 1997 beim Modern Drummer Festival eingeladen, wo diese legendäre Performance entstand:
Talent is Overrated!
Sind solche außergewöhnlichen Fähigkeiten ein wertvolles gottgegebenes Talent?
Georg Colvin, der Autor des Buches: Talent is Overrated: What Really Separates World-Class Performers from Everybody Else, beantwortet diese Frage mit einem klaren NEIN!
Man kann die Aussagen dieses Buches in 4 Punkten zusammenfassen:
1. Talent ist nicht angeboren.
2. Aussergewöhnliches Können entsteht durch jahrelanges fokussiertes Üben (deliberate practice).
3. Beginne in jungem Alter zu Lernen!
4. Unterstützung und Motivation aus dem sozialen Umfeld ist sehr hilfreich!
Es gibt wissenschaftliche Studien zu diesem Thema und die Erkenntnisse sagen aus, dass solche außergewöhnliches Können viel mehr in unseren eigenen Händen liegt, als angenommen. Diese Studien beschäftigen sich mit Top-Performern aus vielen verschiedenen Bereichen, wie z.B. Violine spielen, Schach spielen, Golf, Schwimmen, Kopfrechnen, uvm…
Viele Top-Performer aus diesen Bereichen sind nicht überdurchschnittlich intelligent oder haben spezielle angeborene Fähigkeiten. Viele (aber auch nicht alle) sind einfach nur durchschnittlich. Das Schlüsselelement um solche Niveaus zu erreichen: Deliberate Practice, was soviel wie bewusstes, gezieltes Üben bedeutet. Diese Art zu üben ist sehr anstrengend, aber es ist effizient und wirkt! Je mehr auf diese Art und Weise geübt wird, desto besser sind die Ergebnisse.
Wissenschaftliche Studien – Talent vs. Harte Arbeit:
1992 suchte eine kleine Gruppe von Wissenschaftern in England nach dem Phänomen des musischen Talents. Die Forscher wählten das musische Talent, da es die Art von Talent ist, von welchem die meisten Menschen glauben, dass es existiert.
Die Forscher untersuchten 257 junge Menschen, welche Musikinstrumente lernten. Sie alle wurden in fünf Gruppen nach deren Fähigkeiten eingeteilt. Die beste Gruppe bestand aus Musikern, die eine Musikschule besuchten, wo sie durch ein Auswahlverfahren zugelassen wurden. Die schlechteste Gruppe bestand aus Musikern, welche ein Instrument mindestens sechs Monate gelernt, aber danach aufgegeben haben. Die Gruppen wurden nach Alter, Geschlecht, Instrumenten und Gesellschaftsschicht angepasst.
Dann befragten die Forscher die Studenten und deren Eltern ausführlich. Zum Beispiel wieviel sie geübt haben, ab welchem Alter sie ein erkennbares Stück singen konnten, usw. Die Ergebnisse waren klar: Angeborenes Talent war nicht nachweisbar.Die Top-Gruppe, welche aus den Schülern der Musikschule bestand, war in einem Punkt ihrer frühen Fähigkeiten überlegen:
Die Fähigkeit ein Stück nachzusingen. Sie konnten dies im Durchschnitt bereits im Alter von 18 Monaten, im Gegensatz zu den anderen, welche dies erst mit 24 Monaten konnten. Trotzdem konnte man dies nicht als angeborenes Talent zählen, da die Eltern in den Befragungen angaben, dass sie bei der Top-Gruppe viel aktiver beim Singen mit den Kindern waren. Alle Schüler aller Gruppen begannen ihr Instrument im Alter von 8 Jahren zu lernen. Trotzdem unterschieden sich die 257 Schüler erheblich in ihren musikalischen Fähigkeiten.
Nur ein einziger Faktor konnte vorhersagen, wie erfolgreich die Schüler werden sollten: Nämlich wie viel sie geübt haben. Doch die Anzahl der Übungsstunden ist nicht der einzige Faktor für das Erreichen ussergewöhnlichen Könneans.
Eine ähnliche Studie fand auch Anfang der 90er in Berlin statt. Man wollte herausfinden, warum einige Violinstudenten besser waren als andere. Die Studie wurde an der Musik-Akademie in Berlin, einer renommierten Schule, durchgeführt.
Die Studenten wurden in drei Gruppen nach deren musikalischen Fähigkeiten eingeteilt. In vielen Punkten waren sich die Studenten aller Gruppen sehr ähnlich:
Alle begannen ihr Instrument ungefähr mit 8 Jahren zu lernen und entschieden etwa mit 15 Jahren Musiker zu werden. Zur Zeit der Studie lernte jeder Student sein Instrument seit ca. 10 Jahren. Der Unterschied lag aber hier auch beim Üben. Die besseren zwei Gruppen verbrachten ca. 24 Stunden pro Woche mit Üben, die dritte Gruppe nur 9 Stunden pro Woche. Die zwei besseren Gruppen übten vor allem am Vormittag bis frühen Nachmittag, während die 3. Gruppe am späten Nachmittag erst zu üben begann. Ein weiterer Unterschied: Die zwei besseren Gruppen hatten in der Nacht länger geschlafen und schliefen auch teilweise am Nachmittag.
Warum war aber die beste Gruppe besser als die zweite Gruppe?
Der Unterschied lag in der Geschichte der Studenten. Bis zum 18. Lebensjahr hatte die Top-Gruppe bereits 7410 Stunden geübt, die zweite Gruppe 5301 Stunden und die dritte Gruppe 3420 Stunden geübt.
Was genau ist Deliberate Practice?
Deliberate Practice oder bewusstes Üben:
– oftmaliges Wiederholen
– ständiges Feedback z.b. durch Lehrer, oder durch Selbstreflexion (Audio, Videoaufnahmen) mit Analyse
– Deliberate Practice besteht vor allem aus Fokussierung und Konzentration
– kurze- und langfristige Ziele setzen
– Üben in der Lernzone
Üben in der Lernzone:
Man kann das Üben in 3 Zonen einteilen:
Comfort-Zone:
In dieser Zone befindet sich alles was man schon gut kann. Das Üben in dieser Zone ist angenehm und man braucht nicht viel Konzentration.
Panic-Zone:
In dieser Zone ist man schnell überfordert, man wird sehr leicht demotiviert und gibt schnell auf.
Learning-Zone:
In der Lernzone ist man weder über- noch unterfordert. Es ist gar nicht so einfach diese Zone zu finden und auch darin zu bleiben, da sie sich ja ständig verändert.
Gibt es Talent?
Kommt darauf an wie man dies definiert. Laut den Studien gibt es kein angeborenes Talent. Außergewöhnliches Können bzw. Begabung in jungen Jahren lässt sich entwickeln durch fokussiertes Üben, sehr gute Lehrer sowie Unterstützung und Förderung aus dem sozialen Umfeld.
Das Konzept von Deliberate Practice kann jedoch von jedem Schlagzeuger, egal ob als Hobbymusiker oder Profi, erfolgreich angewendet werden und garantiert gute Fortschritte.
Über den Autor:
Mag.art. Florian Stöger
- Musikstudium mit Hauptfach Schlagzeug und Percussion der Popularmusik an der Universität für Musik u. darstellende Kunst Wien. Unterricht bei Manfred Krenmair, Prof. Fritz Ozmec, Prof. Mario Lackner und Prof. Oliver Madas.
- Auslandsaufenthalt in den USA in Los Angeles – Privatunterricht bei Bernard Galane und Gaststudent am Musicians Institute in Hollywood.
- Privatunterricht und Masterclasses bei: Thomas Lang, Jojo Mayer, Bernard Galane, Dave Elitch, Gorden Campbell.
- langjährige Unterrichtserfahrung: Schlagzeuglehrer an der Musik- und Kunstschule Waidhofen an der Ybbs, der VHS Heiligenstadt und am Borg Krems an der Donau. Seit 2020 Schlagzeuglehrer am Borg St. Pölten.
- Zahlreiche Konzerte mit Coverbands und Songwritern unterschiedlicher Stilistiken.
- Lehrer an der Vienna Drum School
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